9 Dezember 2025

Preisdruck und Engpässe: Wirtschaftliche Folgen für das Gesundheitssystem

Preisdruck und Engpässe: Wirtschaftliche Folgen für das Gesundheitssystem

Wenn Medikamente nicht mehr auf Lager sind, weil die Lieferketten zusammenbrechen, oder wenn eine Krankenkasse plötzlich einen Preis für eine lebenswichtige Therapie ablehnt, dann ist das kein isolierter Fall. Das ist Pricing pressure - Preisdruck - und Engpässe in der Gesundheitsversorgung, die das ganze System erschüttern. Seit 2020 haben wir gesehen, wie schnell ein globaler Schock - sei es eine Pandemie, ein Krieg oder ein Wetterextrem - die Versorgung mit Medikamenten, Geräten oder sogar Personal lahmlegen kann. Und die Folgen sind nicht nur ärgerlich, sie sind lebensbedrohlich.

Warum fehlen Medikamente und Therapien?

Es ist nicht so, als würden Pharmaunternehmen plötzlich faul. Die Gründe sind komplex und liegen in den Zähnen der globalen Versorgungskette. Ein Beispiel: Die meisten Antibiotika werden in Indien und China hergestellt. Wenn ein Hafen in Shanghai wegen Lockdowns geschlossen ist, oder wenn eine Fabrik in Indien wegen Stromausfällen nicht produzieren kann, dann bleibt kein Ersatz. Die Nachfrage bleibt gleich - oder steigt sogar, wenn eine neue Infektionswelle kommt. Aber die Lieferzeit für einen einfachen Wirkstoff, der vorher drei Wochen brauchte, steigt auf acht Wochen. Das ist kein kleiner Verzug. Das ist ein Versorgungsbruch.

Die Daten vom San Francisco Federal Reserve zeigen: Ein Schock in der globalen Lieferkette erhöht die Inflation für Konsumgüter um bis zu 1,5 Prozentpunkte. Bei Medikamenten ist der Effekt noch stärker, weil es kaum Ersatzprodukte gibt. Ein Patient, der auf einen bestimmten Blutdruckwirkstoff angewiesen ist, kann nicht einfach auf ein anderes Medikament umsteigen. Die Nachfrage ist absolut starr - und das macht den Preisdruck umso heftiger.

Wie wirkt sich das auf die Kosten aus?

Wenn ein Medikament knapp ist, steigt der Preis. Nicht weil die Firma gierig ist, sondern weil die Produktion teurer wird. Rohstoffe, Energie, Logistik - alles wird teurer. Und wenn nur noch ein paar Hersteller den Wirkstoff liefern können, haben sie die Macht, die Preise hochzudrücken. In Deutschland stiegen die Preise für einige Antibiotika und Krebsmedikamente zwischen 2021 und 2023 um bis zu 40 %. Die Krankenkassen müssen zahlen - oder sie verweigern die Erstattung. Dann bleibt nur noch eine Option: Patienten warten. Oder sie bezahlen selbst. Und das kann nicht jeder.

Ein Fall aus der Praxis: Ein 68-jähriger Patient mit rheumatoider Arthritis braucht einen Biosimilar, der vorher 120 Euro pro Injektion kostete. Plötzlich kostet er 180 Euro. Die Krankenkasse sagt: Wir zahlen nur bis 140 Euro. Der Rest muss aus dem eigenen Geld kommen. Das sind 60 Euro pro Woche. Bei monatlichen Injektionen: 240 Euro im Monat. Für viele Rentner ein untragbarer Betrag. Sie reduzieren die Dosis. Oder sie stoppen die Therapie. Die Folge: Mehr Krankenhausaufenthalte, höhere Langzeitkosten - und ein verschlechterter Gesundheitszustand.

Eine erschöpfte Krankenschwester steht vor langen Wartelisten, über ihr schweben Nachrichten über fehlende Kapazitäten.

Personalengpässe: Der unsichtbare Engpass

Nicht nur Medikamente fehlen. Es fehlt auch an Menschen. Pflegekräfte, Ärzte, Laboranten - alle Branchen leiden unter dem gleichen Problem: Zu wenig Personal, zu hohe Belastung, zu niedrige Löhne im Vergleich zum Aufwand. Die Bundesagentur für Arbeit hat 2023 ermittelt, dass in Deutschland mehr als 120.000 Stellen im Gesundheitswesen unbesetzt sind. Das ist kein temporäres Problem. Es ist strukturell.

Warum? Weil viele Pflegekräfte nach der Pandemie ausgestiegen sind. Weil die Ausbildung zu lang ist und die Arbeitsbedingungen oft unerträglich. Und weil Löhne nicht mit der Inflation mithalten. In der Altenpflege verdient eine Pflegekraft im Schnitt 2.800 Euro brutto. Ein Logistiker in einem Lagerhaus, der auch Schichten macht, verdient 3.200 Euro - mit weniger Verantwortung. Wer bleibt da?

Die Folge: Wartelisten für Operationen werden länger. Hausärzte nehmen nur noch Notfälle an. Diagnosen werden verschoben. Das ist kein „leichter“ Engpass. Das ist eine systemische Gefahr. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zeigte, dass 57 % der Hausärzte 2023 Patienten absagen mussten, weil sie keine Kapazitäten mehr hatten. Das ist nicht mehr Gesundheitsversorgung. Das ist Rationierung.

Was passiert, wenn der Staat die Preise kontrolliert?

Viele denken: Einfach die Preise deckeln - dann ist das Problem gelöst. Aber das funktioniert nicht. Es ist wie ein Stau, den man mit einem Schild „Langsam!“ lösen will. Die Folge: Die Engpässe werden schlimmer.

Ein Beispiel aus Großbritannien: 2021 hat die Regierung einen Preisdeckel für Energie eingeführt - und 27 kleine Energieversorger sind pleitegegangen. Warum? Weil sie die Kosten nicht mehr decken konnten. Sie konnten nicht mehr liefern. In der Gesundheitsversorgung wäre das ähnlich: Wenn ein Medikament zu billig verkauft werden muss, dann hören Hersteller auf, es zu produzieren. Die Lieferung bleibt aus. Und dann ist es nicht nur teurer - es ist einfach nicht mehr da.

Die Stiftung für Wirtschaftliche Bildung (FEE) hat das schon vor Jahren beschrieben: Wenn Preise künstlich niedrig gehalten werden, dann kommt es zu Panikkäufen, Vorratshaltung und schließlich zu vollständigen Ausverkäufen. Das passiert auch bei Medikamenten. Wenn ein Patient hört, dass ein Wirkstoff bald nicht mehr verfügbar ist, kauft er drei Monate Vorrat - ob er ihn braucht oder nicht. Dann ist er für alle anderen weg.

Kleine Apotheken in Europa teilen Medikamente über ein digitales Netzwerk, ein Roboter hilft beim Nachfüllen unter einem Sonnenaufgang.

Wie können Unternehmen und Systeme reagieren?

Einige Krankenhäuser und Apotheken haben schon begonnen, anders zu denken. Sie haben nicht mehr nur einen Lieferanten für ein Medikament - sie haben zwei oder drei. Sie haben digitale Systeme, die den Lagerbestand in Echtzeit anzeigen. Sie verhandeln nicht mehr nur mit den großen Herstellern, sondern auch mit kleineren, regionalen Produzenten. Das nennt man „Dual-Sourcing“. Unternehmen, die das gemacht haben, hatten 35 % weniger Lieferausfälle.

Auch die Digitalisierung hilft. Ein Krankenhaus in Freiburg hat 2023 ein System eingeführt, das automatisch meldet, wenn ein Medikament unter einem bestimmten Bestand liegt. Es schickt dann eine Bestellanfrage an den zweiten Lieferanten - ohne dass jemand manuell eingreifen muss. Die Reaktionszeit sank von sieben auf zwei Tage.

Und es gibt noch eine andere Lösung: Flexibilität. Die Europäische Zentralbank hat 2021 in Deutschland erlaubt, dass Pharmaunternehmen vorübergehend zusammenarbeiten durften - ohne dass das als Kartell gilt. Das hat geholfen. Gemeinsame Lager, gemeinsame Logistik - das hat die Versorgung mit Antibiotika und Impfstoffen stabilisiert. Innerhalb von sechs Wochen sanken die Engpässe um 19 %.

Was bleibt für die Zukunft?

Die guten Nachrichten: Die globalen Lieferketten haben sich seit 2023 etwas erholt. Der Global Supply Chain Pressure Index ist wieder auf Vor-Pandemie-Niveau. Aber das ist trügerisch. Die Risiken sind nicht verschwunden. Sie sind nur anders verteilt.

Klimawandel, geopolitische Spannungen, alternde Bevölkerung - das sind keine vorübergehenden Probleme. Sie sind dauerhaft. Und sie werden die Gesundheitsversorgung weiter belasten. Die Weltgesundheitsorganisation sagt: Bis 2030 wird es weltweit 10 Millionen Pflegekräfte weniger geben. In Deutschland ist das bereits heute spürbar.

Die Lösung liegt nicht in mehr Geld allein. Sie liegt in Struktur. In mehr Flexibilität. In weniger Abhängigkeit von einem einzigen Land. In besseren Löhnen für Pflegekräfte. In digitalen Systemen, die Engpässe vorhersagen, statt nur darauf reagieren. Und vor allem: In der Erkenntnis, dass Gesundheit kein Luxusgut ist - sondern ein Grundrecht. Und wenn das System unter Preisdruck und Engpässen bricht, dann zahlt nicht nur die Wirtschaft den Preis. Es zahlt jeder Mensch, der auf eine Behandlung angewiesen ist.

Warum steigen die Preise für Medikamente, wenn sie knapp sind?

Wenn ein Medikament knapp ist, steigt der Preis, weil die Produktion teurer wird - durch höhere Rohstoff-, Energie- und Logistikkosten. Außerdem gibt es oft nur noch wenige Hersteller, die den Wirkstoff liefern können. Das gibt ihnen Marktmacht. Wenn die Nachfrage hoch und das Angebot niedrig ist, steigen die Preise. Das ist kein „Gier“, sondern ein ökonomisches Gesetz. Wer das nicht akzeptiert, riskiert, dass der Wirkstoff komplett ausfällt - weil kein Hersteller mehr produziert.

Können Preisdeckel Engpässe verhindern?

Nein. Preisdeckel führen dazu, dass Hersteller keine Gewinne mehr machen - und deshalb die Produktion einstellen. Das haben wir in der Energiekrise gesehen: 27 Versorger gingen pleite, weil sie die Preise nicht anpassen durften. In der Pharmaindustrie führt das zu Lieferausfällen. Patienten bekommen dann gar nichts mehr - nicht weil es teuer ist, sondern weil es nicht mehr da ist. Preisdeckel lösen das Problem nicht - sie verschlimmern es.

Warum fehlt es an Pflegepersonal?

Weil die Arbeitsbedingungen schlecht sind: lange Schichten, hohe psychische Belastung, zu wenig Unterstützung. Die Löhne sind im Vergleich zu anderen Berufen mit ähnlichem Aufwand zu niedrig. Viele Pflegekräfte sind nach der Pandemie ausgestiegen. Die Ausbildung ist lang und anspruchsvoll, und es gibt zu wenig Nachwuchs. Das ist kein temporäres Problem - es ist eine strukturelle Krise, die nur durch bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung und bessere Arbeitsbedingungen gelöst werden kann.

Wie kann ich als Patient auf Engpässe reagieren?

Seien Sie proaktiv: Fragen Sie Ihren Arzt, ob es Alternativen gibt - auch von anderen Herstellern. Fragen Sie Ihre Apotheke, ob sie einen anderen Lieferanten haben. Vermeiden Sie Panikkäufe: Wenn Sie mehr Medikamente nehmen, als Sie brauchen, nehmen Sie anderen die Versorgung. Und halten Sie sich über Ihre Krankenkasse auf dem Laufenden - viele haben Listen mit aktuellen Engpässen. Ein Gespräch mit Ihrem Arzt ist oft die beste Vorsorge.

Wird sich die Lage in den nächsten Jahren verbessern?

Teilweise. Die globalen Lieferketten stabilisieren sich, aber neue Risiken kommen: Klimawandel, geopolitische Konflikte, alternde Gesellschaft. Die Lösung liegt in Diversifizierung - mehr Lieferanten, mehr Produktion in Europa, digitale Systeme, die Engpässe vorhersagen. Langfristig braucht es mehr Investitionen in das Gesundheitspersonal und in die Infrastruktur. Es wird nicht einfach - aber es ist möglich, wenn wir jetzt handeln.

Geschrieben von:
Sabine Grünwald
Sabine Grünwald