Wenn ein neues Medikament auf den Markt kommt, ist es teuer. Sehr teuer. Doch irgendwann tauchen günstigere Generika auf - und plötzlich wird das Medikament für Millionen erschwinglich. Doch wann genau darf das passieren? Das entscheiden nicht einfach die Hersteller, sondern komplexe rechtliche Regeln, die von Land zu Land unterschiedlich sind. Diese Regeln heißen Exklusivitätszeiträume - und sie bestimmen, wie lange ein Originalhersteller das Monopol behält, bevor Generika kommen dürfen.
Wie lange läuft ein Patent eigentlich?
Die Grundlage für den Schutz eines Medikaments ist ein Patent. In den meisten Ländern, einschließlich der USA und der EU, beträgt die maximale Laufzeit 20 Jahre - ab dem Tag der Anmeldung. Klingt nach lang genug, oder? Doch hier liegt der Haken: Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert im Durchschnitt 10 bis 12 Jahre. Das bedeutet: Wenn das Medikament endlich zugelassen und verkauft werden darf, ist das Patent oft schon fast abgelaufen. Die wirkliche Zeit, in der der Hersteller Gewinne machen kann, liegt meist nur zwischen 6 und 10 Jahren.Deshalb haben viele Länder Zusatzsysteme eingeführt, um diese verlorene Zeit wiederzugeben. In den USA nennt man das Patent Term Extension (PTE). In der EU heißt es Supplementary Protection Certificate (SPC). Beide Systeme erlauben es, die Schutzzeit um bis zu fünf Jahre zu verlängern - aber mit einer wichtigen Einschränkung: Die gesamte Schutzdauer, also Patent plus Zusatzschutz, darf nach Markteinführung nicht länger als 15 Jahre betragen. Das ist kein Zufall. Es ist eine Abwägung: Genug Zeit für die Investition, aber nicht zu viel, um den Wettbewerb zu blockieren.
Was ist der Unterschied zwischen Patent und Exklusivität?
Viele verwechseln Patent mit Exklusivität. Aber das sind zwei verschiedene Dinge. Ein Patent schützt die chemische Formel oder die Herstellungsmethode. Exklusivität hingegen schützt die Daten, die der Hersteller bei der Zulassung eingereicht hat - also die klinischen Studien, die zeigen, dass das Medikament sicher und wirksam ist.Das ist entscheidend, denn ein Generikahersteller muss nicht selbst neue Studien machen. Er kann die Daten des Originalherstellers nutzen - aber erst, wenn die Exklusivitätszeit abgelaufen ist. In den USA gibt es fünf Jahre Datenexklusivität für einen neuen Wirkstoff (New Chemical Entity). In der EU ist es komplizierter: 8 Jahre Datenexklusivität, dann noch 2 Jahre Marktexklusivität - und wenn der Wirkstoff neue klinische Vorteile zeigt, gibt’s noch ein zusätzliches Jahr. Das nennt man das 8+2+1-Modell. In Kanada und Japan ist es ähnlich: 8 Jahre Daten- und 2 bis 4 Jahre Marktexklusivität.
Das bedeutet: Selbst wenn ein Patent abgelaufen ist, darf ein Generikum nicht sofort auf den Markt. Erst wenn auch die Datenexklusivität vorbei ist, kann es eingereicht werden. Und das kann Jahre dauern. In einigen Ländern, wie Brasilien oder China, wurde die Datenexklusivität in den letzten Jahren sogar auf 10 bis 12 Jahre erhöht - ein klarer Trend, der den Zugang zu Generika verzögert.
Warum ist der US-Markt so anders?
Die USA haben ein System, das fast wie ein Wettkampf funktioniert: Der erste Generikahersteller, der ein Patent anfechtet und erfolgreich ist, bekommt 180 Tage exklusiven Marktzugang - ohne Konkurrenz. Das ist ein riesiger Anreiz. Denn in dieser Zeit kann er das Medikament zu einem Preis verkaufen, der noch deutlich über den späteren Generika-Preisen liegt. Das bringt enorme Gewinne.Doch dieses System hat auch Schattenseiten. Originärhersteller haben gelernt, ihre Medikamente mit Dutzenden Patenten zu umzingeln - sogenannte Patent-Thickets. Ein einzelnes Medikament kann heute bis zu 140 Patente im sogenannten Orange Book haben. Das macht es für Generika-Hersteller extrem teuer und komplex, einzusteigen. Die Kosten für eine erfolgreiche Patentanfechtung liegen zwischen 2 und 5 Millionen US-Dollar pro Medikament.
Noch problematischer ist die Praxis der „Pay-for-Delay“-Abkommen. Hier zahlt der Originalhersteller dem Generikahersteller Geld, damit er seinen Markteintritt verschiebt. Die US-Handelskommission (FTC) hat das mehrfach verklagt - und 2013 im Fall „FTC vs. Actavis“ entschieden, dass solche Abkommen rechtswidrig sein können. Trotzdem passiert es noch immer. Laut einer Umfrage der American Pharmacists Association haben 78 % der Apotheker in den letzten Jahren mindestens drei Medikamente beobachtet, deren Generika durch solche Abkommen verzögert wurden.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Während die USA auf Anfechtung und Wettbewerb setzen, bevorzugt die EU einen klaren, vorhersehbaren Zeitplan. Es gibt keine 180-Tage-Exklusivität für den ersten Anmelder. Stattdessen gilt: Wer die Zulassung einreicht, darf nach Ablauf der Exklusivitätszeiten einfach loslegen. Das führt dazu, dass Generika in der EU oft schneller nach Markteintritt des Originals verfügbar sind - aber weniger agressiv und mit weniger finanziellen Anreizen.In Japan ist das System ähnlich wie in der EU, aber mit kürzerer Marktexklusivität. In Kanada und Australien orientiert man sich stark an den europäischen Standards. In Entwicklungsländern sieht es anders aus: Viele haben keine eigenen Datenexklusivitätsregeln. Doch durch Handelsabkommen wie CETA oder TTIP werden diese Regeln oft „importiert“. So wurde in Südafrika der Zugang zu HIV-Medikamenten durch EU-Handelsverträge bis zu elf Jahre nach Ablauf des Patents blockiert - obwohl das Patent selbst längst abgelaufen war.
Die WHO hat 2022 berechnet: In Hochlohnländern dauert es im Durchschnitt 12,7 Jahre, bis ein Medikament generisch wird. In Niedriglohnländern sind es 19,3 Jahre. Der Grund? Nicht das Patent, sondern die Datenexklusivität - und die wird oft durch internationale Verträge verlängert.
Was ändert sich gerade?
Die Debatte über diese Systeme wird heißer. Die USA diskutieren derzeit das „Preserve Access to Affordable Generics and Biosimilars Act“, das „Pay-for-Delay“-Abkommen verbieten will. Die EU plant, das 8+2+1-System zu überarbeiten - möglicherweise die Datenexklusivität für bestimmte Medikamente auf fünf Jahre zu reduzieren. Japan will sein Patentverfahren beschleunigen, um Generika schneller zuzulassen.Und trotzdem: Die Pharmaindustrie bleibt hart. Der Verband IFPMA sagt, dass 97 % ihrer Mitglieder die aktuellen Systeme als „unverzichtbar“ für Forschung und Entwicklung halten. Die Zahlen sprechen dafür: Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet durchschnittlich 2,3 Milliarden US-Dollar. Ein Erfolg ist selten - nur etwa 14 % der Wirkstoffe, die in die letzte klinische Phase kommen, werden jemals zugelassen.
Aber was ist mit der öffentlichen Gesundheit? Die Medizinprofessorin Ellen ‘t Hoen sagt klar: „Datenexklusivität in Handelsverträgen blockiert den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten - besonders in armen Ländern.“ Und Aaron Kesselheim von der Harvard Medical School weist darauf hin: „Ein einzelnes Medikament bekommt heute im Durchschnitt 38 zusätzliche Patente, oft nur für winzige Änderungen.“
Was bedeutet das für Patienten?
Wenn ein Medikament wie Keytruda von Merck seine Exklusivität verlängert - von 8,2 auf 12,7 Jahre - dann zahlen Patienten und Krankenkassen mehrere Jahre länger hohe Preise. Nach Markteintritt der Generika sinken die Preise um 80 bis 90 % innerhalb von zwölf Monaten. Das ist der größte Hebel zur Kostensenkung im Gesundheitswesen.Und doch: Viele Generika kommen nicht, weil die Rechtslage zu komplex ist. Oder weil Hersteller sich nicht trauen, die Kosten für eine Patentanfechtung zu tragen. In den USA ist das System ein Spiel mit hohen Einsätzen - für die großen Player. In Europa ist es sicherer, aber langsamer. In Entwicklungsländern ist es oft unmöglich.
Die Lösung? Ein System, das Innovation belohnt - aber nicht mit endlosen Patenten. Das, was wirklich zählt, ist: Wie lange muss ein Patient warten, bis er ein lebenswichtiges Medikament bezahlen kann? Die Antwort darauf liegt nicht in einem Patentregister, sondern in der Politik - und in der Bereitschaft, den Zugang zu Medikamenten über den Schutz von Gewinnen zu stellen.
Wie lange dauert es, bis ein Generikum kommt?
Es gibt keine einfache Antwort. Aber hier sind die Fakten, die zählen:- USA: Durchschnittlich 10-12 Jahre vom Markteintritt bis zum ersten Generikum - aber mit 180-Tage-Exklusivität für den ersten Anmelder.
- EU: 8-11 Jahre, abhängig von der Anwendung von 8+2+1-Modell und SPC.
- Japan: 8-12 Jahre, mit 8 Jahren Daten- und 4 Jahren Marktexklusivität.
- Kanada: 8-10 Jahre, ähnlich der EU.
- Entwicklungsland: 15-20 Jahre, oft wegen Handelsverträgen, die Datenexklusivität erzwingen.
Die meisten Generika kommen nicht, weil das Patent abgelaufen ist - sondern weil die Datenexklusivität noch läuft. Und das ist der entscheidende Punkt, den viele übersehen.
Was ist mit Orphan Drugs?
Für Medikamente gegen seltene Krankheiten (Orphan Drugs) gibt es Sonderregeln. In den USA: 7 Jahre Exklusivität. In der EU: 10 Jahre - und wenn der Hersteller zusätzliche klinische Daten vorlegt, kann es noch einmal um zwei Jahre verlängert werden. Das hat funktioniert: Seit 2003 wurden allein in den USA 12 neue Medikamente gegen Multiples Myelom zugelassen - dank dieser Anreize. Aber auch hier wird kritisiert: Manche Unternehmen nutzen das System, um Medikamente für relativ häufige Erkrankungen als „selten“ zu klassifizieren - nur um die längere Exklusivität zu bekommen.Wie können Generika-Hersteller erfolgreich sein?
Erfolgreiche Generika-Hersteller wie Mylan oder Teva arbeiten strategisch. Sie analysieren nicht nur das Patent, sondern auch die Datenexklusivität. Sie prüfen, welche Patente schwach sind - und welche nur für kleine Änderungen gelten. Dann wählen sie: Anfechten oder umgehen. Mylan hat beim EpiPen-Generikum sechs von zwölf Patenten erfolgreich angefochten - und gleichzeitig die Spritze so verändert, dass sie nicht mehr unter das letzte Patent fiel. Das ist clever. Und teuer. Aber es funktioniert.Der größte Fehler? Die Exklusivitätsfristen falsch berechnen. 28 % aller gescheiterten Generika-Eintritte liegen an einem falschen Datum. Oder man unterschätzt die Komplexität der Patentverknüpfung - 42 % der Fälle scheitern daran.
Wie lange dauert es, bis ein Generikum nach Ablauf des Patents auf den Markt kommt?
Es hängt vom Land und von der Art des Schutzes ab. In den USA kann es nach Ablauf des Patents noch Jahre dauern, weil die Datenexklusivität läuft - meist 5 Jahre für neue Wirkstoffe. In der EU gilt das 8+2+1-Modell: 8 Jahre Datenexklusivität, dann 2 Jahre Marktexklusivität. Selbst wenn das Patent abgelaufen ist, darf das Generikum erst nach Ablauf dieser Zeiträume zugelassen werden. In manchen Ländern dauert es bis zu 12 Jahre, bis ein Generikum erscheint - nicht wegen des Patents, sondern wegen der Datenexklusivität.
Warum gibt es in den USA eine 180-Tage-Exklusivität für Generika-Hersteller?
Diese Regelung stammt aus dem Hatch-Waxman Act von 1984. Sie soll Anreize schaffen, Patente anzufechten. Wer als Erster erfolgreich ein Patent anfechtet, bekommt 180 Tage lang exklusiven Marktzugang - ohne Konkurrenz. Das ist lukrativ: In dieser Zeit kann der Hersteller hohe Preise verlangen. Aber es hat auch Nachteile: Manche Unternehmen nutzen das, um Abkommen mit Originalherstellern zu schließen („Pay-for-Delay“), und verzögern so den Wettbewerb.
Was ist ein Patent-Thicket?
Ein Patent-Thicket ist eine Ansammlung von vielen Patenten - oft über 100 - die ein Originalhersteller um ein Medikament herum anlegt. Sie schützen nicht nur den Wirkstoff, sondern auch Verpackung, Dosierung, Herstellungsverfahren oder Nebenwirkungen. Das macht es für Generika-Hersteller extrem schwierig, legal einzusteigen, weil sie alle Patente durchlaufen müssen. Die Top-20 Pharmaunternehmen halten durchschnittlich 137 Patente pro Medikament.
Warum blockieren Handelsverträge den Zugang zu Generika?
Handelsabkommen wie CETA oder TTIP verlangen von Ländern, dass sie strenge Datenexklusivitätsregeln einführen - auch wenn sie das nicht brauchen. In Südafrika hat das dazu geführt, dass HIV-Medikamente bis zu 11 Jahre nach Ablauf des Patents nicht als Generika verfügbar waren. Das hat Tausende Leben gekostet. Die WHO kritisiert solche Abkommen als „Gesundheitsrisiko“ - denn sie verhindern, dass günstige Medikamente in armen Ländern eingesetzt werden können.
Können Länder ihre eigenen Exklusivitätsregeln ändern?
Ja - aber nur, wenn sie nicht an internationale Handelsverträge gebunden sind. Länder wie Indien und Brasilien haben ihre Regeln in den letzten Jahren angepasst. Indien hat keine Datenexklusivität eingeführt - und ist damit zu einem der größten Generika-Exporteure geworden. Brasilien hat 10 Jahre Datenexklusivität eingeführt - und damit den Zugang zu Generika eingeschränkt. Die Entscheidung hängt davon ab, ob ein Land seine eigene Gesundheitsversorgung oder die Interessen multinationaler Konzerne priorisiert.