Generika retten Leben - und Milliarden. In den USA sparen Patienten allein im Jahr 2012 mehr als 217 Milliarden Dollar, weil sie statt teurer Markenmedikamente günstige Generika nehmen. Doch hinter dieser scheinbar einfachen Gleichung verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus Recht, Strategie und manchmal bewusstem Betrug. Antitrust-Gesetze sollen hier faireren Wettbewerb sichern. Doch in der Pharmaindustrie werden sie oft ausgehöhlt - mit Folgen für jeden, der Medikamente braucht.
Wie Generika den Markt veränderten - und warum das die Pharmaindustrie störte
Bevor 1984 der Hatch-Waxman Act in den USA in Kraft trat, war der Markt für Generika fast nicht existent. Nur 19 Prozent aller verschriebenen Medikamente waren günstige Kopien. Die großen Pharmaunternehmen hielten ihre Patente eng umklammert. Wer eine Kopie herstellen wollte, musste denselben langwierigen Zulassungsweg durchlaufen wie der Originalhersteller - mit teuren klinischen Studien, die sich kaum lohnten. Der Hatch-Waxman Act änderte das. Er erlaubte es Herstellern von Generika, einen sogenannten Abbreviated New Drug Application (ANDA) einzureichen: keine neuen Studien, nur Nachweise, dass das Generikum genauso wirkt wie das Original. Und als Anreiz: Wer als Erster einen ANDA mit einer Paragraph-IV-Zertifizierung einreichte - also behauptete, das Patent des Markenmedikaments sei ungültig oder werde nicht verletzt -, durfte 180 Tage lang exklusiv auf den Markt kommen. Kein anderer Generikahersteller durfte zu dieser Zeit folgen. Das war ein Durchbruch. Innerhalb von 30 Jahren stieg der Anteil der Generika an allen verschriebenen Medikamenten von 19 auf 90 Prozent. Die Preise brachen ein. Ein einzelnes Generikum senkte den Preis des Originalpräparats um mindestens 20 Prozent im ersten Jahr. Mit fünf Konkurrenten war der Preis oft um 85 Prozent gefallen. Verbraucher sparten zwischen 2005 und 2014 insgesamt 1,68 Billionen Dollar. Das ist kein Zufall. Das ist der Effekt von echtem Wettbewerb.Die dunklen Seiten: Pay-for-Delay und andere Tricks
Aber nicht alle Unternehmen wollten mitmachen. Einige Markenhersteller fanden einen anderen Weg: Sie zahlten den ersten Generikahersteller, damit er gar nicht erst auf den Markt kommt. Diese Praxis heißt Pay-for-Delay. Der Hersteller des Originalpräparats überweist Millionen - manchmal Hunderte von Millionen - an den Generikahersteller, der eigentlich sein größter Konkurrent wäre. Im Gegenzug verzichtet dieser auf seine Zulassung. Der Preis bleibt hoch. Der Verbraucher zahlt weiter. Und der Wettbewerb bleibt aus. Die US-amerikanische Federal Trade Commission (FTC) hat das seit den 2000er-Jahren als schwerwiegenden Verstoß gegen das Antitrustrecht erkannt. 2013 entschied der Oberste Gerichtshof der USA in FTC v. Actavis, dass solche Zahlungen illegal sein können - wenn sie groß und unerklärlich sind. Das war ein Wendepunkt. Doch die Tricks wurden raffinierter. Ein Fall aus 2023: Gilead Sciences zahlte 246,8 Millionen Dollar, um eine Klage wegen Pay-for-Delay bei einem HIV-Medikament zu beenden. Das ist kein Einzelfall. Zwischen 2000 und 2023 gab es in den USA 18 solcher Fälle - mit Gesamtzahlungen von über 1,2 Milliarden Dollar.
Andere Methoden: Produkt-Hopping, Sham Petitions, Orange Book Manipulation
Pay-for-Delay ist nur eine von vielen Strategien. Ein weiterer Trick: Product Hopping. Ein Unternehmen ändert leicht die Formel seines Medikaments - etwa von einer Tablette zu einem Kapsel mit verlängerter Wirkung -, kurz bevor das Patent abläuft. Dann wirbt es massiv für das neue Produkt, als wäre es deutlich besser. Patienten und Ärzte wechseln um. Die Generika, die auf das alte Präparat abzielen, werden unnötig verzögert. Die FTC hat das bei AstraZeneca mit Prilosec und Nexium gesehen. Die Gerichte entschieden damals, dass das nicht automatisch illegal ist - solange das alte Medikament weiter verkauft wird. Aber viele Experten halten das für einen Ausweg, der den Geist des Wettbewerbs ignoriert. Ein weiteres Mittel: Sham Citizen Petitions. Wer bei der FDA eine offizielle Beschwerde einreicht - etwa, dass ein Generikum unsicher sei -, kann damit den Zulassungsprozess blockieren. Wenn diese Beschwerden keine wissenschaftliche Grundlage haben, aber gezielt eingereicht werden, um Zeit zu gewinnen, dann ist das ein Verstoß. Die FTC hat Teva Pharmaceuticals genau dafür verklagt: Das Unternehmen soll mehrere solche Petitionen gegen sein eigenes Medikament Copaxone eingereicht haben, um die Einführung von Generika zu verzögern. Der Fall läuft noch. Auch das Orange Book, die offizielle Liste aller Patente, die das Originalmedikament schützen, wird missbraucht. Manche Unternehmen listen Patente auf, die gar nicht gelten - oder die erst viel später ablaufen. Das erschwert es Generikaherstellern, rechtzeitig zu reagieren. 2003 verklagte die FTC Bristol-Myers Squibb genau dafür: Sie hatte Patente falsch eingetragen, um den Markteintritt zu blockieren.Europa und China: Andere Regeln, andere Probleme
In der EU ist der Fokus anders. Hier geht es nicht nur um Zahlungen, sondern um regulatorische Hürden. Unternehmen ziehen ihre Zulassungen in bestimmten Ländern zurück, damit Generika dort nicht eingeführt werden können. Oder sie geben falsche Informationen an Patentämter, um die Laufzeit ihres Patents zu verlängern. Die Europäische Kommission hat zwischen 2018 und 2022 27 Antitrust-Fälle im Pharmabereich eröffnet - 60 Prozent davon betrafen Verzögerungen bei Generika. Die Kommission schätzt, dass diese Verzögerungen europäischen Verbrauchern jedes Jahr 11,9 Milliarden Euro kosten. China hat 2025 neue Antitrust-Richtlinien für die Pharmaindustrie erlassen - und sie sind hart. Sie identifizieren fünf Hardcore-Restriktionen, die automatisch illegal sind: Preisabsprachen, Produktionsbeschränkungen, Marktaufteilung, gemeinsame Boykotte und Verbot von Innovation. Bis Q1 2025 wurden bereits sechs Fälle bestraft - fünf davon wegen Preisabsprachen. Besonders neu: Die chinesischen Behörden nutzen KI, um Preisverläufe in Online-Plattformen und Messaging-Apps zu überwachen. Wenn mehrere Unternehmen dieselben Preise über WhatsApp oder WeChat abstimmen, wird das erkannt.
Was passiert, wenn Generika nicht kommen?
Es geht nicht nur um Geld. Es geht um Gesundheit. Eine Umfrage der Kaiser Family Foundation aus 2022 ergab: 29 Prozent der US-Amerikaner nehmen ihre Medikamente nicht richtig ein - weil sie sie sich nicht leisten können. Viele davon könnten mit Generika behandelt werden. Wenn ein Patent abläuft, aber kein Generikum kommt - weil jemand bezahlt hat, damit es nicht kommt -, dann leiden Patienten. Sie verzichten auf Medikamente, verschlechtern ihren Gesundheitszustand, werden kranker, müssen ins Krankenhaus. Das kostet das Gesundheitssystem noch mehr als die hohen Preise. Studien zeigen: Der Verlust von Wettbewerb in der Pharmaindustrie führt nicht nur zu höheren Preisen. Er führt auch zu geringerer Innovation. Wenn ein Unternehmen weiß, dass es durch Pay-for-Delay oder Produkt-Hopping seinen Markt schützen kann, hat es weniger Anreiz, echte neue Medikamente zu entwickeln. Es lohnt sich mehr, die bestehenden Patente zu verteidigen - als neue zu erforschen.Was kann getan werden?
Die Lösungen sind nicht kompliziert - aber sie brauchen Durchsetzungskraft. Erstens: Pay-for-Delay muss konsequent verboten werden. Keine Ausnahmen. Keine Hintertüren. Zweitens: Das Orange Book muss transparent und korrekt geführt werden. Falsche Patentangaben müssen mit hohen Geldstrafen bestraft werden. Drittens: Sham Petitions müssen als rechtswidrig eingestuft werden - nicht nur als unangenehm. Viertens: Produkt-Hopping braucht klare Grenzen. Wenn ein Unternehmen ein Medikament nur leicht verändert, um Generika zu blockieren, sollte das als Wettbewerbsverstoß gelten. In der EU und in den USA gibt es bereits gute Ansätze. Aber sie werden oft schwach durchgesetzt. In China ist die Durchsetzung schneller - aber auch weniger transparent. Die Welt braucht mehr Koordination, mehr Transparenz und mehr Mut, gegen die Macht der großen Pharmaunternehmen vorzugehen.Generika sind kein Luxus. Sie sind eine Notwendigkeit. Und Wettbewerb ist kein Risiko - er ist die einzige Garantie dafür, dass Medikamente bezahlbar bleiben. Wer das ignoriert, zahlt nicht nur mehr Geld. Er zahlt mit Gesundheit - und mit Leben.
Was ist der Hatch-Waxman Act und warum ist er wichtig?
Der Hatch-Waxman Act ist ein US-Gesetz aus dem Jahr 1984, das den Weg für Generika ebnen sollte. Es erlaubt Herstellern, ohne neue klinische Studien einen vereinfachten Zulassungsantrag (ANDA) einzureichen, wenn sie nachweisen, dass ihr Produkt dem Original gleichwertig ist. Als Anreiz bekommt der erste Generikahersteller, der ein Patent anfochtet (Paragraph IV), 180 Tage exklusiven Marktzugang. Das hat den Anteil von Generika in den USA von 19 % auf 90 % gesteigert und über 1,6 Billionen Dollar an Verbrauchersparen ermöglicht.
Was ist Pay-for-Delay und warum ist es illegal?
Pay-for-Delay ist eine Vereinbarung, bei der ein Markenhersteller einem Generikahersteller Geld zahlt, damit er seine Markteinführung verzichtet. Das verhindert Wettbewerb, hält Preise hoch und schadet Verbrauchern. Der US-Oberste Gerichtshof entschied 2013, dass solche Zahlungen, wenn sie groß und unerklärlich sind, gegen das Antitrustrecht verstoßen. Sie sind kein legitimes Patentverhandlungsergebnis - sie sind eine Bestechung, um den Markt zu kontrollieren.
Wie wirkt sich Produkt-Hopping auf den Generikamarkt aus?
Beim Produkt-Hopping ändert ein Unternehmen leicht die Formulierung seines Medikaments - etwa von Tablette zu Kapsel - kurz vor Ablauf des Patents. Dann bewirbt es das neue Produkt als verbessert, obwohl der therapeutische Nutzen oft gleich bleibt. Patienten und Ärzte wechseln um. Generika, die für das alte Produkt zugelassen sind, werden dadurch unnötig verzögert. Das ist kein echter Innovationsschritt - es ist eine strategische Blockade.
Was ist das Orange Book und wie wird es missbraucht?
Das Orange Book ist die offizielle Liste aller Patente, die ein Markenmedikament schützen. Generikahersteller müssen diese Patente prüfen, bevor sie einen Zulassungsantrag stellen. Einige Unternehmen listen Patente ein, die gar nicht gelten - oder die erst viel später ablaufen. Das erschwert und verzögert die Einführung von Generika. Die FTC hat solche Praktiken mehrfach verklagt, etwa gegen Bristol-Myers Squibb, weil sie die Regeln systematisch ausnutzte.
Warum sind Generika nicht nur günstiger, sondern auch wichtiger für die Gesundheit?
Generika machen Medikamente bezahlbar. Ohne sie würden viele Menschen ihre Therapie abbrechen, weil sie sie sich nicht leisten können. Eine Umfrage zeigte: 29 % der US-Amerikaner nehmen Medikamente nicht richtig ein - wegen der Kosten. Wenn Generika nicht kommen, weil Unternehmen sie durch rechtliche Tricks blockieren, leiden Patienten direkt. Höhere Preise führen nicht nur zu höheren Ausgaben - sie führen zu schlechterer Gesundheit, mehr Krankenhausaufenthalten und letztlich höheren Systemkosten.